Synopsis
- Über die Liebe zur Musik, die Lust am Tanzen und das Streben nach Inklusion.
Von Anfang August bis Ende Oktober 2013 nahmen über 80 Menschen mit und ohne Behinderung an einem musikalischen Projekt mit dem Titel „Souvenir“ von Christiane Joost-Plate teil. Der Film „Wege zum Glück“ ist ein Portrait dieser Begegnung. Die Interviews mit den Teilnehmenden spiegeln den gegenwärtigen Stand der Diskussion zur gesellschaftlich relevanten Frage der Inklusion wider. Die genauen Beobachtungen während der Proben zeigen, wie die Arbeit an so einem Projekt aussehen kann.
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Filmkritik – Silke Engelhardt
Über 80 Menschen gestalten im Spätsommer 2013 ein inklusives Musik- und Tanzprojekt mit dem Titel „Souvenir“ – eine bunte Gruppe von Akteuren jeglichen Alters mit und ohne Behinderungen. Für Jurek und Aschmann ist die Zusage ein Sprung ins kalte Wasser, ihr Wissen zur Materie „Inklusion“ nur lückenhaft. Es erweist sich aber bald als hilfreiche Prämisse. Gänzlich und ohne Vorbehalte vertrauen sie sich dem Geschehen vor der Kamera an. Umgekehrt wird die Kamera für die Probenden mit jedem Treffen „unsichtbarer“. Bald sind die Filmer fester Teil des Teams. Nach und nach schälen sich die Persönlichkeiten ihrer Protagonisten heraus. Choreograph Alexander Hauer formt aus der Vielzahl der Mitwirkenden und ihrer Ideen eine Einheit. Tatsächlich sind am Premierenabend in der Marktkirche Hannover alle auf den Punkt genau vorbereitet. Der Film zeigt, wie das gelingt, und wie Krisen gemeistert werden.
In der öffentlichen Debatte stößt die Forderung nach Inklusion auf zahlreiche Widerstände. Nicht nur von Seiten verunsicherter Pädagogen und Eltern, wie eine betroffene Mutter im Film berichten wird. Inklusion scheint zu spalten: Kernpunkt ist die unsere Gesellschaft dominierende Leistungsorientierung. Inklusive Ansätze gelten, je nach Blickwinkel, mal als Störung, mal als willkommener Gegenentwurf zum obsoleten Prinzip. Solange jedoch die Mehrheit Inklusion als Bedrohung begreift, wird es bei politischen Lippenbekenntnissen bleiben. Er bezeugt aber auch den schweren Stand der Inklusion in unserer Gesellschaft, will sie deren Fundamente nicht in Frage stellen.
Trotz des spürbaren Drucks gelingt es sämtlichen Beteiligten, diesen Widerspruch kreativ aufzulösen. In diesem Sinne dokumentiert „Wege zum Glück“ ein Beispiel für bereits erfolgte Inklusion, und sei es nur für die Dauer eines Projekts. Obwohl es der Film nicht auf leichte Antworten anlegt, gibt er doch Anlass zu Optimismus. Nicht umsonst trägt er den Untertitel: „Über die Liebe zur Musik, die Lust am Tanzen und das Streben nach Inklusion“. Musik und Tanz zeigen gleich- berechtigt, wie ihr Zusammenspiel Lust und Leidenschaft beflügelt und ebenjene „Wege zum Glück“ bahnt.
Häufig fällt der Name eines ähnlichen Dokumentarfilms aus dem Jahr 2004: „Rhythm is it!“ Das Tanzprojekt von Dirigent Rattle und Choreograph Maldoom ist in seiner Dimension ungleich größer. Allein die Tanz- gruppe umfasst 250 Menschen, ist allerdings weniger heterogen. Es handelt sich ausschließlich um Schüler aus Berliner Problemvierteln. Ziel des Projekts sind Reifung und Integration der z.T. „recht schwierigen“ Kinder und Jugendlichen. Obwohl der Film fraglos großartige Momente hat, ist seine Botschaft doch zwiespältig. In seinem Pathos aus Disziplin und Anforderung klingt unangenehm Gerhard Schröders zeitnah geprägte Formel vom „Fördern und Fordern“ an, frei nach dem Motto: Jeder kann es von unten bis in die Mitte der Leistungs- gesellschaft schaffen – wenn er nur will. Damit droht die Realität dieser Jugendlichen, vergleichbar mit Casting- Formaten des Privatfernsehens, in eine Soap umzukippen.
Gewiss sind die Grenzen zwischen Integration und Inklusion fließend. Dennoch gibt es grundlegende Unter- schiede. Integration bedeutet die Aufnahme eines Men- schen in ein bereits existierendes System, das keinen Willen zur substanziellen Änderung aufweist. Somit geht es immer auch um die Abschleifung individueller Eigen- heiten. Nicht nur Menschen mit sichtbarer Behinderung leiden unter dieser Dynamik. Sie betrifft uns alle. Die Dynamik der Inklusion, klar veranschaulicht in „Wege zum Glück“, ist eine andere: Sie erzeugt ein offenes System, das „Neuzugänge“ gerade in ihrer Individualität wertschätzt, willkommen heißt und sich seinerseits auf sie einstellt.
Crew
- Regie: Agnieszka Jurek, Carsten Aschmann
- Kamera: Carsten Aschmann I Hula-Offline & VIDEORAUSCHEN
- Schnitt: Carsten Aschmann I Hula-Offline & VIDEORAUSCHEN
- Produktion: Videorauschen